Bei den Leichengräbern

Es war einmal…

im Jahre 1980 in den Sommerferien. Ich litt – wie so üblich – an chronischem Geldmangel. Somit musste ein Ferienjob her. Doch die Jobs waren rar und die Auswahl dementsprechend sehr gering. Durch den Vater eines guten Freundes (Ritchie) bekam ich aber doch noch einen Ferienjob – ein Job der Extraklasse ;-) Ritchie und ich sollten die Friedhofsmauer renovieren. Die Friedhofsmauer bestand (na ja, heute natürlich immer noch) aus großen Sandsteinen. Der Mörtel zwischen den Steinen war im Laufe der Zeit sehr heraus gewaschen worden und unsere Aufgabe bestand darin, diese Löcher wieder auszubessern.

 

Morgens um 8.00 Uhr begann unsere Schicht, abends um 17.00 Uhr hatten wir Feierabend. Und dazwischen hatten wir bei den Renovierungsarbeiten jede Menge Spaß. So war z. B. um 10.00 Uhr immer „Frühstück mit den Leichengräbern“ angesagt. Ich hatte als Arbeitskleidung natürlich einen Blaumann an und eine Schirmmütze auf. Die Leichengräber verhielten sich genau so, wie man es sich von Leichengräbern nun mal vorstellt. Der Frühstückraum war provisorisch im Geräteschuppen im Friedhof untergebracht. Dort stand aber natürlich ein Kühlschrank, damit sie ihr Frühstücksbrot kühlen konnte. Aber viel wichtiger war der Kühlschrank für die Kühlung der Unmengen an Bier, die sie bereits zum Frühstück vertilgten. Wir wurden direkt am ersten Tag zum gemeinsamen Frühstück eingeladen. Ich packte mein Brot aus, biss herzhaft hinein und schon hatte ich eine Flasche Bier vor mir stehen. Ich sah Ottmar (Leichengräber Nr. 1) verdutzt an und deutete auf meine Wasserflasche, da ich mit vollem Mund nicht reden wollte. Ottmar meinte dann nur:

„Wos en echte Friedhofsbursch soi will, muß ach eh Bier am frieje Mojend vertroche!“

Ich schaute noch verblüffter.. er hielt mich doch tatsächlich für einen Jungen, obwohl es eigentlich überhaupt nicht zu übersehen war, dass ich eindeutig weiblich bin! Ritchie und ich schauten uns an und lachten lauthals los. Dann dachte ich mir, als ich mir die Jungs so ansah: Es ist sicherlich besser, wenn sie nicht wissen, dass ich ein Mädel bin – deutete dies Ritchie auch per Augenzwinkern an und von da an war ich Udo. :-)

 

Das erste Frühstück endete damit, dass ich 2 Flaschen Bier intus und ein Stück Nutellabrot gegessen hatte, welches meine Mutter liebevoll geschmiert hatte. Ich war dann doch leicht betrunken, aber somit ging der erste Arbeitstag wie im Flug vorüber. Abends war ich schlagskaputt, aber auch zufrieden, denn wir hatten bis zum Feierabend dann endlich den Dreh heraus, wie man den Mörtel am besten zwischen die Steine presst, damit er da auch drin bleibt ;-)

 

Am nächsten Morgen bekam ich wieder mein Nutellabrot und meine Flasche Wasser von meiner Mutter eingepackt. Und natürlich wurden wir wieder zum Frühstück bei den Leichengräbern eingeladen. Franz (Leichengräber Nr. 2), machte sich über mein Nutellabrot lustig… „Nudellabrot, des is doch bloass woas fer Kinner unn Weicheier“. Somit stellte ich meine Nahrung um. Kurz, ich passte mich voll und ganz unseren netten, stellenweise zahnlosen, Gastgebern an. Ab dem nächsten Tag gab es bei mir einen Ranken Brot mit Fleischwurst – am Stück versteht sich, dann Blutwurst (passend für den Friedhof) dann Lebberworscht – ja selbst meine Sprache passte ich den Leichengräbern an. Dann, eines Tages meinte Schorsch (Leichengräber Nr. 3) „Hey, Udo, willschd de mol mitmache, beim Grab ausheibe?“ Mir blieb das Stück Brot schier im Hals stecken, alleine bei dem Gedanken daran. Franz dann: „Schorsch, ich heb der des doch glei gsoat, der Udo is a Weichei, ach wonn er jetzt Worscht statt Nutella esse dut“. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen. Ich dann also: „Klar, Schorsch! Das würde mich echt mal interessieren!“. Jou, und schon hatte ich die Schaufel in der Hand und Schorsch, Franz und ich waren auf dem Weg zum Grab, welches wir ausheben sollten. Ich muss gestehen, etwas mulmig war mir schon zumute, aber es stellte sich heraus, dass Stephen King eben doch nur Geschichten erzählt ;-) Denn es stiegen keine Zombies aus dem Grab und ich fand auch abgesehen von ein paar Überresten von Knochen keine weiteren gruseligen Bestandteile. Aber froh war ich trotzdem, als das Grab endlich tief genug war, und ich mich wieder meinem „geliebten“ Mörtel in der Friedhofsmauer hingeben konnte.